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Initiative auf Pump

In ein paar Wochen stimmen wir über die Pflegeinitiative ab. Sie verfolgt das Ziel, dass einerseits mehr Pflegefachkräfte ausgebildet werden und andererseits, dass die Arbeitsbedingungen so verbessert werden, dass die Pflegefachkräfte länger berufstätig bleiben. Damit soll der Fachkräftemangel beseitigt werden.

Aber es gibt gemäss einer Analyse des SECO noch andere Baustellen: «Unter den Berufsfeldern mit dem höchsten Verdacht auf Fachkräftemangel befinden sich neben den Ingenieurberufen auch Technikerinnen und Techniker, die Managementberufe, die Berufe des Rechtswesens oder die Gesundheitsberufe. Starke Anzeichen für einen erhöhten Fachkräftebedarf zeigen auch die Informatikberufe, die Werbe-, Tourismus- und Treuhandberufe, die Bildungs- und Unterrichtsberufe, technische Fachkräfte oder die sozial-, geistes- und naturwissenschaftlichen Berufe.»

Parallel hat sich seit 2016 die Arbeitslosenquote von 3.3 % auf 2.3 % per 2019 reduziert. 2020 sprang sie wieder auf 3.1 %, um sich bis September 2021 wieder auf 2.6 % zu erholen. Keine riesigen Sprünge. Warum wird der Ruf nach Fachkräften dann immer lauter?

Die Volkswirtschaftslehre kennt das vereinfachte Modell der drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital. Gemäss dem Bundesamt für Statistik benötigen wir seit Jahren eine fast dreimal grössere Erde, um unseren Bedarf an Boden, welcher für die verbrauchten Rohstoffe steht, zu generieren. Der Faktor Kapital spielt in der neueren Geschichte der Schweiz selten eine begrenzende Rolle, schon gar nicht, seit die Geldmenge seit der Finanzkrise 2008 von etwa 641 auf aktuell 1’158 Milliarden erhöht wurde. Mit diesem Kapital konnten die nötigen Rohstoffe lokal oder weltweit organisiert werden.

Bleibt also der Faktor Arbeit. Im Gegensatz zum scheinbar unbegrenzt verfügbaren Kapital oder den weltweit organisierbaren Rohstoffen, hadert die Schweiz mit dem Problem, nicht genügend Arbeitskräfte und insbesondere Fachkräfte verfügbar zu haben. Ein Teil des Problems ist sicher hausgemacht: Fachkräfte, welche nur noch Teilzeit arbeiten möchten und können oder ihre Arbeitskraft anderweitig einsetzen und sich somit ihrem Stammgebiet entziehen.

Ein Teil ist demographisch bedingt. Es gibt zu wenig Menschen, welche in geographischer Nähe leben und über die nötigen Qualifikationen verfügen. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine tiefe Arbeitslosenquote und «importiert» schon jetzt viele Fachkräfte.

Wenn nun vermehrt Jugendliche eine Ausbildung zu Fachkräften im Gesundheitsbereich absolvieren und sie mit welchen Massnahmen auch immer auf ihrem Beruf gehalten werden – in welchem Bereich wird sich dann die nächste Lücke auftun und die nächste Initiative lanciert? Dass soll kein Pro oder Kontra zur eingangs erwähnter Abstimmung sein – aber ein Denkanstoss.

Solange wir mehr erwarten von unserer Wirtschaft, als die Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital hergeben, solange leben wir auf Pump. Pump gegenüber der Natur. Pump aber auch gegenüber unseren Mitmenschen. Das macht keine Initiative wett.